Kirchenkampf.

Kirchenkampf.
Kirchenkampf.
 
Die Bezeichnung Kirchenkampf entstand zunächst 1933/34 in der evangelischen Kirche, um die innerkirchlichen Auseinandersetzungen um den »evangeliumsgemäßen« Weg, v. a. zur Abwehr des Führungsanspruchs der Deutschen Christen (DC) seitens der entstehenden Bekennenden Kirche, zu benennen; zunehmend wurde der Begriff dann ausgeweitet auf den allgemeinen Kampf der Kirchen gegen Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus. Er gilt heute (nicht unumstritten) als Bezeichnung für die Geschichte der Kirchen im nationalsozialistischen Deutschland (1933-45).
 
 Nationalsozialismus und Kirchen
 
Trotz ideologischer Vorbehalte waren die Kirchen 1933 bereit, sich weitgehend in die politischen Interessen des nationalsozialistischen Staates (als Wiederaufrichtung eines christlich-konservativen Staatsgefüges begriffen) einbinden zu lassen und dessen Kampf gegen den »gottlosen« Bolschewismus zu unterstützen. Der Nationalsozialismus sah aber im Christentum einen unliebsamen Widerpart, der ihn bei seiner systematischen Indoktrinierung der Bevölkerung zu behindern vermochte.
 
Mit der ab 1934 propagierten »Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens« kam es zu sich verschärfender Diskriminierung von Christentum und Kirchen (u. a. Unterdrückung und Zerschlagung der den Kirchen angeschlossenen Vereine und Verbände sowie der kirchlichen Presse, Verfolgung von Ordensangehörigen durch Devisen- und Sittlichkeitsprozesse [1935-37], Überwachung von Gottesdiensten und Verhaftung von Pfarrern [1935 z. B. 700]). Die Kirchen galten, wo sie sich nicht anpassten, als ein Hort politischer Unbotmäßigkeit. Ab 1938 setzten sich in der nationalsozialistischen Kirchenpolitik immer stärker antikirchliche Kräfte durch; diese gingen von der Unvereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus aus und propagierten die Trennung von Staat und Kirche (M. Bormann, J. Goebbels, R. Hess, A. Rosenberg). V. a. SS, SD und Gestapo forcierten fortan den Kirchenkampf (besonders H. Himmler und R. Heydrich). Die Kirchen wurden endgültig auf den innerkirchlichen Wirkungsraum beschränkt (u. a. Aufhebung des Religionsunterrichts). 1940 verkündete Hitler einen »Burgfrieden« mit den Kirchen für die Dauer des Krieges und verschob die Lösung der Kirchenfrage auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
 
Die Kirchen traten dem Vorwurf der Staatsfeindlichkeit entgegen und betonten ihre grundsätzliche politische Loyalität. Ihr Kampf gegen den Nationalsozialismus war v. a. ein Kampf um die eigene Freiheit und Autonomie. Dennoch protestierten sie nicht nur um ihrer Selbstbehauptung und Verfolgung willen, sondern griffen vereinzelt in Hirtenbriefen oder Eingaben an staatlichen Stellen auch die Ideologie, v. a. die Rassenlehre, und die offenkundigen Menschenrechtsverletzungen des Regimes direkt an (u. a. Denkschrift der 2. Vorläufigen Leitung der Bekennenden Kirche 1936, Enzyklika Pius' XI. »Mit brennender Sorge« 1937, »Menschenrechtshirtenbrief« 1942, Hirtenbrief über die Zehn Gebote 1943). Die Kirchen sahen ihre Distanzierung von Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes nicht als politischen Widerstand an; einige kirchliche Amtsträger und einzelne Christen schlossen sich jedoch der Widerstandsbewegung an (z. B. D. Bonhoeffer, A. Delp, E. Gerstenmaier). Trotz des gemeinsamen Gegners kam es zu keiner engeren Zusammenarbeit der Kirchen. Das ambivalente Verhalten der Amtskirche gegenüber der national-sozialistischen Genozidpolitik (Holocaust) wurde nach 1945 häufig als Versagen kritisiert.
 
 Die evangelische Kirche im Kirchenkampf
 
Der Kirchenkampf entbrannte an der Umbildung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes (DEK) und war im Wesentlichen ein komplexes innerkirchliches Ringen um Wesen, Auftrag und Ordnung (Verfassung) der Kirche. Schon ab Mai 1933 kam es zu schweren Auseinandersetzungen, als die nationalsozialistische Kirchenpartei der DC in der Deutschen Evangelischen Kirche die Verschmelzung von Christentum und Nationalsozialismus propagierte und in ihr die Führung beanspruchte. Mit massiver Unterstützung durch Hitler und die NSDAP erreichten die DC im Sommer und Herbst 1933 den nationalsozialistischen Durchbruch in der evangelischen Kirche und konnten die Schlüsselpositionen besetzen (u. a. 27. 9. 1933 Wahl und Einsetzung des »Reichsbischofs« L. Müller). Immer mehr Pfarrer und Gemeinden sahen jedoch ihr Vorgehen als mit dem Wesen und dem Bekenntnis der Kirche unvereinbar an. Im September 1933 rief M. Niemöller zur Gründung eines Pfarrernotbundes auf (Januar 1934 schon 7 000 Mitglieder), in einigen der von den DC beherrschten Landeskirchen traten freie Bekenntnissynoden zusammen; die Landeskirchen Bayern, Hannover und Württemberg, in denen allein sich die bisherigen Landesbischöfe (H. Meiser, A. Marahrens, T. Wurm) hatten halten können, brachen mit der Führung der Reichskirche. Die verschiedenen Kreise und Gruppen der kirchlichen Opposition vereinigten sich im Frühjahr 1934 zur Bekennenden Kirche, die auf ihrer ersten Bekenntnissynode die Barmer Theologische Erklärung verabschiedete (29. 5. 1934. Im Oktober 1934 trat die Bekenntnissynode ein zweites Mal zusammen und proklamierte das kirchliche Notrecht: Alle bekennenden Gemeinden und Kirchen sollten eigene Leitungsorgane (Bruderräte) bilden und die Beziehungen zu dem offiziellen DC-Kirchenregiment abbrechen. Am 16. 7. 1935 berief Hitler einen Reichskirchenminister (H. Kerrl), der das Gegeneinander konkurrierender Kirchenleitungen in der evangelischen Kirche beseitigen und auf diese Weise den Kirchenkampf beenden sollte. Zu diesem Zweck wollte Kerrl die bisherigen Kirchenleitungen überall durch - von ihm gebilligte - »Kirchenausschüsse« ersetzen. Das gelang jedoch nur auf Reichsebene (Reichskirchenausschuss; Vorsitz: W. Zoellner) und für die Landeskirchen Preußen, Sachsen, Hessen-Nassau, Kurhessen-Waldeck und Schleswig-Holstein. In den übrigen Landeskirchen konnten sich die »intakten« oder die deutsch-christlichen Kirchenleitungen halten. Kerrl verbannte die Bruderräte (auf Landes- und Reichsebene) endgültig in die Illegalität; verhaftet wurde u. a. R. von Thadden-Trieglaff (1937).
 
Die Ausschusspolitik Kerrls und Zoellners führte zu tief greifenden Konflikten innerhalb der Bekennenden Kirche. Einige der Bruderräte lehnten aus grundsätzlichen Erwägungen unter Berufung auf das kirchliche Notrecht jeglicher Zusammenarbeit mit den Kirchenausschüssen ab und setzten eine eigene - wiederum illegale - 2. Vorläufige Leitung der Bekennenden Kirche dagegen (12. 3. 1936). Die kompromissbereiteren »intakten« Landeskirchen bildeten demgegenüber den »Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands« als gemeinsame geistliche Leitung (18. 3. 1936), der sich auch Bruderräte aus lutherischen Landeskirchen unterstellten. Als sich zeigte, dass die Ausschusspolitik Zoellners auch im Kirchenministerium keinen Rückhalt mehr hatte, trat der Reichskirchenausschuss im Februar 1937 zurück. Mit weiteren Neuordnungsversuchen kam Kerrl nicht mehr zum Zuge; das Leitungsschisma in der evangelischen Kirche blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges bestehen. Der Kirchenkampf fand sein Ende mit der Neuordnung des evangelischen Kirchenwesens 1945/48 (Evangelische Kirche in Deutschland).
 
 Die katholische Kirche im Kirchenkampf
 
Der deutsche Katholizismus verfügte in der Weimarer Republik mit der Zentrumspartei und der Bayerischen Volkspartei über ein eigenes Instrument zur Wahrung seiner kirchlich-politischen Interessen. Als Hitler im März 1933 zusicherte, den Einfluss der katholischen Kirche im öffentlichen Leben und den Rechtsstatus der Kirche zu wahren, war das Zentrum bereit, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen und damit die Weimarer Reichsverfassung zu suspendieren. Auch der Episkopat bekundete seinen Willen zu staatsbürgerlichem Gehorsam und zu politischer Mitarbeit, obwohl einige Bischöfe den Nationalsozialismus vor 1933 lehramtlich verurteilt hatten.
 
Die Unterzeichnung des Reichskonkordats am 20. 7. 1933 stärkte Hitlers außenpolitisches Prestige, brachte ihn aber auch einem innenpolitischen Ziel näher, indem es Geistlichen und Ordensleuten jegliche politische Betätigung verbot und damit den »politischen Katholizismus« ausschaltete. Der katholischen Kirche verschaffte das Konkordat andererseits auch notwendige Absicherungen gegenüber den zu befürchtenden totalitären Übergriffen des Nationalsozialismus, die sich bereits ankündigten, als die Konkordatsverhandlungen noch im Gange waren (Vorgehen gegen katholische Verbände). Spätestens ab Herbst 1933 wurde deutlich, dass Hitler nicht daran dachte, seine Zusicherungen einzuhalten. Der Kirchenkampf der katholischen Kirche wurde somit zum Abwehrkampf gegen nationalsozialistische Übergriffe. Dabei zeigte sich der Katholizismus geschlossener als der Protestantismus. Deutsch-christliche Theorien fanden im Katholizismus keinen Widerhall, die Organisation der katholischen Kirche blieb im Ganzen intakt. Allerdings bestanden innerhalb der katholischen Abwehrfront Meinungsverschiedenheiten über die angemessene Strategie. Der Berliner Bischof K. Graf von Preysing befürwortete einen offensiveren Konfrontationskurs, während der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, der Breslauer Kardinal A. J. Bertram, an einer defensiveren Eingabenpolitik festhielt. Seit 1938, verstärkt aber in den Kriegsjahren, waren insbesondere katholische Amtsträger (z. B. die Hälfte der 21 000 katholischen Weltpriester) von Zwangsmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes bis hin zu Inhaftierung und Einlieferung in KZs, v. a. nach Dachau, betroffen (etwa 170 wurden hingerichtet oder starben in der Haft); 1941 wurden 123 Ordenskomplexe aufgelöst und enteignet (Aktion »Klostersturm«). Am offensten stellten sich Kardinal M. von Faulhaber und Bischof C. A. Graf von Galen gegen die nationalsozialistische Vernichtungspolitik. Darüber hinaus beteiligten sich Katholiken an Widerstandsgruppen wie der »Weißen Rose« beziehungsweise leisteten gegenüber der nationalsozialistischen Indoktrination Widerstand und/oder starben als angebliche »Hochverräter« (u. a. B. Lichtenberg, M. J. Metzger, J. C. Rossaint, A. M. Wachsmann).
 
 
Die Geschichtsschreibung über den Kirchenkampf begann in beiden Kirchen schon bald nach 1945. Bis heute ist innerhalb der Forschung umstritten, wie das Verhalten der Kirchen zwischen Anpassung, Selbstbehauptung und Widerstand einzuordnen und zu bewerten ist.
 
Eine bedeutsame Förderung erfuhr die Geschichtsschreibung durch die Gründung spezieller kirchlicher Forschungskommissionen: der evangelischen »Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfs« (gegründet 1955; seit 1971 »Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte«) und der katholischen »Kommission für Zeitgeschichte« (gegründet 1962). Beachtung fand zuletzt die Erforschung des kirchlichen Widerstandes und die Haltung zum Holocaust.
 
 
Arbeiten zur Gesch. des K., begr. v. Kurt D. Schmidt u. a., 30 Bde. (1958-84),
 
Ergänzungsreihe (1964 ff.);
 G. Lewy: Die kath. Kirche u. das Dritte Reich (a. d. Amerikan., 1965);
 
Veröff. der Kommission für Zeitgesch. bei der Kath. Akad. in Bayern, hg. v. K. Repgen, Reihe A: Quellen (1965 ff.),
 
Reihe B: Forschungen (1965 ff.);
 F. Zipfel: K. in Dtl. 1933-1945 (1965);
 
Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches, hg. v. G. Kretschmar, 2 Bde. (1971-74);
 
Arbeiten zur kirchl. Zeitgesch., hg. v. G. Kretschmar:u. a., Reihe B: Darstellungen (1975 ff.),
 
Reihe A: Quellen (1984 ff.);
 K. Meier: Der ev. K., 3 Bde. (1976-84);
 K. Scholder: Die Kirchen u. das Dritte Reich, 2 Bde. (1977-85);
 H.. Hürten: Verfolgung, Widerstand u. Zeugnis. Kirche im Nationalsozialismus (1987);
 E. Weinzierl: Prüfstand. Österreichs Katholiken u. der Nationalsozialismus (Mödling 1988);
 
Die Katholiken u. das Dritte Reich, hg. v. K. Gotto u. K. Repgen (31990);
 H. Hürten: Dt. Katholiken 1918-1945 (1992);
 K. Meier: Kreuz u. Hakenkreuz. Die ev. Kirche im Dritten Reich (1992);
 G. Denzler u. V. Fabricius: Christen u. Nationalsozialisten (Neuausg. 1993);
 A. Kersting: Kirchenordnung u. Widerstand. Der Kampf um den Aufbau der Bekennenden Kirche. .. (1994);
 
Priester unter Hitlers Terror. Eine biograph. u. statist. Erhebung, bearb. v. U. von Hehl u. a., 2 Bde. (31996);
 B. M. Kempner: Priester vor Hitlers Tribunalen (Neuausg. 1996);
 K. Meier: Die theolog. Fakultäten im Dritten Reich (1996).

Universal-Lexikon. 2012.

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